Als ich letztens mal wieder den inzwischen altbekannten „Verstecken“-Werbespot von Haribo gesehen habe, und diesen nicht nur aus dem peripheren Blickfeld betrachtet habe, ist mir das erste Mal aufgefallen, dass ich den Spot auf mehreren Ebenen nicht verstehe.
Da wäre zunächst mal der abschließende und berühmte Claim, Haribo würde Erwachsene und Kinder froh machen. In besagtem Spot werden dem Erwachsenen in Person von Bully Herbig nicht nur hinterlistig seine Süßwaren geklaut – nein! – ich wage zu behaupten die kleinen Drecksbälger 😉 haben auch gar nicht die Absicht, ihn im Rahmen des Versteckspiels zu suchen.
Nach allem was wir wissen, könnte Bully noch heute in diesem Wäschekorb verhungern. Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck, er könnte sich aus eigenen Kräften aus diesem Schmutzwäschebehältnis befreien.
Wir fassen zusammen — keine Süßigkeiten und kein Versteckspiel. Wo bleibt da der Frohsinn für den Erwachsenen?
Ein anderer Punkt ist das gerechte Teilen. Im Video sehen wir drei Kinder. Nur zwei von ihnen – die blonden – scheinen die Goldbären unter sich aufzuteilen, während der braunhaarige kleine Kerl ganz außen völlig leer auszugehen scheint. Ist das normale Geschwisterbeziehungsdynamik? Will Haribo sagen „Goldbären nur für die mit goldenen Haaren“?
Damit sind wir auch bei den scheinbar komplizierten Verwandschaftsverhältnissen. Der Spot legt sich da nicht eindeutig fest. Ist Bully in dem Szenario der Vater eines der Kinder? Vielleicht des Braunhaarigen? Schlagen die Blonden nach der Mutter, welche im 2016er-Spot zu sehen ist? Wieso nennt keines der Kindern ihn „Papa“, um jeden Zweifel auszuräumen?
Ist er am Ende einer dieser Leute, die einen „guten Draht“ zu fremden Kindern haben? Wie in diesen Geschichten von übergriffigen Gemeindepfarrern, Schwimmlehrern und Jugendgruppenbetreuern, die laut den Aussagen bestürzter Nachbarn vor der Kamera eines drittklassigen Regionalsenders immer „so gut mit Kindern konnten.“
Selbst wenn wir davon ausgehen, das die zwischenmenschlichen Beziehungen in dem Spot vernachlässigbar sind, frage ich mich dennoch, ob Kinder in dem abgebildeten Alter moralisch schon so verdorben sind, dass sie ihren Vater oder generell einen Erwachsenen für eine Tüte Gummibären so aufs Kreuz legen würden? Sind Kinder in diesem Alter wirklich schon so eiskalt auf ihren eigenen Vorteil bedacht, dass sie ihren Vater oder den Erwachsenen Gummibäreneigentümer leer ausgehen lassen würden? Was für eine Botschaft soll hier vermittelt werden? Kinder würden für einen Tüte Gummibären alles tun?
Und schließlich ist da noch die Sache mit dem Versteckspiel. Was wird den Erwachsenen in Sachen Kindererziehung heute nicht alles vorgeworfen. Sie erziehen sie per Fernsehen, erzählen ihnen keine Geschichten mehr, gehen intellektuell nicht auf sie ein, überwachen nicht ihren ausufernden Medienkonsum per Smartphone, … Dann haben wir in diesem Spot endlich mal einen Erwachsenen, der gewillt ist, auf seine Kinder einzugehen, mit ihnen zu spielen statt sie vor die Glotze zu setzen, und was ist der Dank? Die verzogene Brut lässt den Alten unter Vorspielung falscher Tatsachen im Badezimmer verrotten, während sie sich gütlich an seinen Gummibärchen tut.
Sollte Bully jemals aus dem Wäschekorb rauskommen, ist es das zukünftig mit dem Versteckspiel gewesen. Wer hätte nach solch einem Betrug jemals wieder Lust, mit jemandem zu spielen? Wie sagt man im Englischen so schön
Ich würde es ja zu gerne sehen, dass sich Herr Heiner Kriegel von der Offenbacher Rundschau und Professor Wolf Lämmer von der Hochschule für Film und Fernsehen im Rahmen des Filmspektrums mit den verschiedenen Aspekten dieses Werbespots auseinandersetzen. Film ab, bitte!