Gelbwurstilluminaten

Gestern bin ich von Hunger gequält in die Küche gestürzt, da mir mein Magen unmissverständlich befohlen hat, ihm auf der Stelle etwas Verwertbares zuzuführen. Ich stehe also vor dem geöffneten Kühlschrank und mein jahrhunderte alter „Jäger & Sammler“-Trieb lässt meinen Blick über all die leicht zu erbeutenden Nahrungsmittel schweifen. Mein Zwischenhirn arbeitet auf vollen Touren.
Hier ein Joghurt – Nein! – zu süß. Dort die Reste von gestern. Zu faul, mir das Zeug warm zu machen.

Wo bleiben die selbstständig in den Mund fliegenden, gegrillten Hühnchen, wenn man sie mal braucht? Nun gut, dann eben gute, „deutsche“ Hausmannskost – WURST.

Noch schnell ein Kontrollblick am Kühlschrank vorbei. Ja, Toastbrot vorhanden und sogar noch nicht geschimmelt. Dann kann es ja los gehen. Schnell die Wurstdose geschnappt, und unter zufriedenem Grunzen deren Inhalt geprüft. Leberwurst pfui. Die Salami riecht recht ungarisch. Aber was versteckt sich denn da ganz verstohlen im hinteren Eck der Dose. Frische, verführerische Gelbwurst. 😀

Ich hoffe die hat sich keiner zurückgelegt, da sie so gut versteckt war. Hehe, selbst wenn, allein der Versuch muss bestraft werden. Deswegen werden die beiden frisch getoasteten Scheiben diesmal auch recht großzügig belegt. Herrlich, diese Dekadenz.

Was? Das ist doch tatsächlich noch eine Scheibe übrig. Na dann muss ich doch erstmal vorkosten, ob die Wurst noch gut ist. Nicht auszudenken, was passiert, würde ich in den frisch belegten Toast beißen, und die Wurst wäre bereits ranzig.

Entwarnung! Diese letzte Scheibe hat vorzüglich geschmeckt. Wenn derjenige, welcher sich die Wurst zurückgelegt hat, doch wüßte, was er da Wunderbares verpasst. 😉

Dann steht meinem üppig belegten Gelbwursttoast ja nichts mehr im Weg. Zufrieden versenke ich meine Zähne. Einfach lecker. Jeder Bissen besser als der zuvor. Wie ich so selbstzufrieden meinen Toast verschlinge, beginnen meine Gedanken zu kreisen. Warum magst du eigentlich Gelbwurst so sehr? Wo hat diese Obsession ihren Anfang?

Ich versuche mich zu erinnern. Wann hast du denn das erste Mal Gelbwurst gegessen? Der Nebel beginnt sich langsam zu lichten. Ich sehe ein pausbäckiges, fleischiges und freundliches Gesicht. Offensichtlich eine Frau. Sei scheint eine weiße Schürze zu tragen. Das Bild fügt sich langsam zusammen.

Heute würde man wohl Fleischfachverkäuferin sagen. Damals war es die nette Metzgerin von nebenan. Sie reicht eine dicke Scheibe Gelbwurst über ihre Theke zu mir nach unten. Ich greife beherzt zu und höre noch die Worte meiner Mutter:

„Na, was sagt man denn da, hmmmmm?“
„Danke!“

Was für eine Erkenntnis. Ich bin in meiner Kindheit angefixt worden. Das erste Mal war sozusagen kostenlos. Um auf den Geschmack zu kommen.

Heute kann ich über die Wursttheke schauen. Von wegen freundliches Gesicht. Gratiswurst? Ich trau mich nicht mal fragen. Der „Stoff“ muss bezahlt werden. Da ich sicherlich nicht das einzige angefixte Opfer meiner Generation bin, frage ich mich natürlich, wie hoch die Dunkelziffer ist? Sollte man eine Selbsthilfegruppe für Gelbwurstsüchtige ins Leben rufen?

Das ist bestimmt ein von langer Hand geplanter Coup der sogenannten Gelbwurstilluminaten. Sie haben eine ganze Generation junger Menschen mit gratis Gelbwurst verführt. Jetzt holen sie ihren Köder wieder ein. Kassieren bundesweit an allen Wursttheken ab. Gäbe es heutzutage überhaupt noch Gelbwurst, wenn es diesen Vorfall in der Geschichte nicht gegeben hätte?

So, der letzte Bissen ist verdrückt. Zurück ins Wohnzimmer und mal sehen, was das Fernsehprogramm so zu bieten hat. Welchen Gedanken man so beim Essen eines Wursttoastes nachgeht. Echt abgedreht. 😉

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11 Gedanken zu “Gelbwurstilluminaten

  1. Bei uns war es die Extrawurst, die ich, wenn es denn die nette Fleischwarenfachverkäuferin war, die mir so eine Scheibe zukommen ließ, zusammengerollt genießen konnte und der ich noch heute beherzt in Form der Pikantwurst (Paprika, scharf!) fröne. Wahrscheinlich würde ich mich sonst vor so einer Wurst heute ekeln. 😀

  2. Gelbwurst! Super! Schon ewig nicht mehr gehabt. Ha, ausserhalb Bayerns nicht bekannt? 🙂

    Meines Zeichens gebürtiger Berliner, dank meiner Mutter Gene halber Oberfranke und von der Oma in jüngsten Jahren sorgfältig „angefixt“ (herrliches Wort).

    Nun wohne ich in Wien und kriege den Stoff nicht mehr zu sehen. Eine Qual und absolute Schande die nach Satisfaktion schreit.

    Ach ja, und du bist Schuld am Ausbruch der von mir nun vorbereiteten Gelbwurst-Kriege!

  3. @Martin

    Meine Rede, Martin. 🙂

    Bist also auch als Kind angefixt worden. 😀 😆
    Den Zusammenhang zwischen der Wurst, die wir als Kind von der „Fleischwarenfachverkäuferin“ geschenkt bekommen haben, und der Wurst, die wir heute noch gerne essen, müsste vielleicht wirklich mal untersucht werden.

    Wenn das mal nicht wieder ein Thema für den Ig-Nobelpreis ist.

    Genau wie du, bin ich mir nicht sicher, ob ich Gelbwurst heute vielleicht keines Blickes mehr würdigen würde, wäre ich nicht als „unschuldiges“ Kind verführt worden. 😉

  4. @Mywill

    Kein Problem, habe deinen doppelten Kommentar gelöscht.

    Das ist natürlich eine Schande, wenn man von seinem „Stoff“ abgeschnitten ist. Wie hoch wohl der Gelbwurstschmuggel nach Österreich ausfällt? 😉

    Ich hoffe deine Entzugserscheinungen sind nicht zu hoch. Habe gehört, das der trockene Entzug nicht besonders angenehm sei. Habe in dem Zusammenhang schon von schlimmen „Gelbwursthalluzinationen“ in Verbindung mit einer Gelbfärbung der eigenen Haut gehört.
    Also pass auf dich auf. 😀 😆

    Und wie hab ich mir die Gelbwurstkriege nun vorzustellen? 😉

    P.S. Anfixen ist übrigens ein seriöses Wort, das sich auch im Duden finden lässt. Ist also kein erfundenes Wort von mir. 😉

  5. Gelbwurstkriege sind zu furchtbar um sie zu beschreiben 😉
    Gelbwurstschmuggel nach Österreich wäre sinnlos, wenn man sich das allgemeine Nahrungsangebot hier so ansieht. Österreicher sind gegen Neues immun. Das ist ein kleines bisschen wie in der tiefsten Oberpfalz, aber mit weniger Bier.

    Cheers,

    Mywill

  6. ich muss jetzt unbedingt mal hier was loswerden…

    Ich hatte ja heute bei dir schonmal einen Artikel kommentiert glaube ich egal.

    aber das was mich hier in deinem Weblog erwartet sprengt alle meine Vorstellungen.

    DER IST JA SOWAS VON VERDAMMT GUT!!

    Deine Schreibe ist einfach für meinen Geschmack fantastisch.

    Jeder beitrag den ich jetzt bei dir gelesen habe war interessant. Und das ist ja wahrlich schwer!!

    Ein toller Blog.

    Du bist ab jetzt in meiner blogroll drin. Dein Weblog gehört da rein unbedingt, denn das was hier steht will ich meinen Lesern nicht vorenthalten.

    Danke für dieses tolle Weblog!!

    Alexander Stritt

  7. Hui, angesichts solch eines Lobes muss ich natürlich aufpassen, das ich keinen Christuskomplex entwickle. 😉

    Nichts desto trotz natürlich danke für das überschwengliche Lob. Ich glaube jeder hört es gern, wenn jemandem das eigene Weblog gefällt.

    Also, lasset die Kindlein weiter zu mir kommen. Oh nein, es fängt schon an. 😀

  8. Das jetzt mitten in der Nacht! Zum Glück noch zwei dicke Scheiben Leberkäse im Gefrierfach! Gewesen, schon draußen.

    Gelbwurst! Warum eigentlich in den letzten zwei, drei Jahren nicht mehr? Ich kann mich an das erste Mal nicht mehr erinnern, aber Kind war ich nicht mehr. Ich weiß jedoch noch, daß man mich sehr erfolgreich lange Zeit vor Gelbwurst gewarnt hat mit der Behauptung, da sei Gehirn drin, was früher ja wohl auch mal stimmte.

    Jedenfalls fielen in meiner Familie Hirn, Kutteln und anderes Gekröse nicht unter Lebensmittel – unsere Zivilisation verbot uns ganz einfach, die Viecher gleich von der Weide oder aus dem Stall weg von Kopf bis Schwanz mit Haut und Haaren zu fressen. So ist mir meine erste Begegnung mit Gelbwurst vermutlich durch eine Art unwillkürliche Selbstschutznarkose entfallen – aber ab diesem Augenblick war Gelbwurst mein Hit. Kein Brot, pur aus der Hand, am liebsten mit (ich weiß nicht, ob das in Bayern bestraft wird) Weißwurstsenf. Und nur bei Kühlschranktemperatur.

    Ich begehe, Zivilisation hin, Zivilisation her, auch andere Sauereien: Ich brate z.B. Weißwürste sehr scharf und esse sie dann mitsamt der dann köstlich knusprigen Haut mit – jetzt halt‘ Dich fest – einem Gemisch aus Senf und Remoulade.

    Oh Gott, mein Fleischkäse!

  9. Bei mir übrigens auch am liebsten ohne Brot direkt aus dem Kühlschrank. 🙂
    Allerdings ohne Weißwurstsenf, der bei mir tatsächlich nur mit Weißwürsten verzehrt wird.

    Das mit dem Anbraten hört sich auf alle Fälle interessant an. Vielleicht probiere ich das irgendwann mal aus.
    Dann allerdings ohne Senf mit Remoulade. 😉

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